Altstadthof Nürnberg

3. November - 14. November 1992

Beschreibung des Konzepts

I N T E R I M (wie ein Märchen aus 1001 Nacht oder, wer nicht wagt der nicht gewinnt.)

Der Altstadthof ist ein Gebäudekomplex unterhalb der Kaiserburg nahe dem Dürerhaus. Der Eigentümer der Anlage, Volker Koch, stellte diese zwei Räume zur Zwischennutzung für Ausstellungen zur Verfügung. Als Kuratoren konnte er die jungen Kunsthistorikerinnen Petra Weigle und Anette Stufler für die Betreuung des Projektes gewinnen. Als diese mich einluden hier eine Ausstellung zu entwickeln, reizte mich insbesondere die ortsspezifische Situation, da diese Räume eigentlich als Büro- oder Ladenlokale genutzt werden.

Einen der Räume deklarierte ich als „Betrachtungsraum“, also einen Raum in dem, wie bei Ausstellungen üblich, Bilder präsentiert werden. Hier wurden Arbeiten gezeigt, die sich in drei formal unterschiedliche Präsentationsformen gliederten, die jeweils zusammenhängend in einem Bereich des Betrachtungsraumes gezeigt wurden:

1. Blister, monochrom farbig von hinten gefasst, mittig auf Limbasperrholzplatte geklebt, in Raminholzrahmen, 13-teilig, jedes „Bild“ mit einer Versalie, dem Alphabet folgend (A bis M), an der Wand bezeichnet.

2. Dia Journale (je 24 Dias), in Leuchtkonsole aus Eisenblech, 7-teilig (6 an der Wand befestigt, eine freistehend), bezeichnet mit römischen Ziffern von I bis VII. In den Journalen ist jeweils nur eines der Blister in Variationen (allerdings noch unbemalt) 24 mal fotografiert.

3. Kombibilder aus Fotografie von Schachtelböden in der oberen Hälfte und Packpapier in der unteren, auf dem jeweils in der Mitte eine kleine arabische Zahl von 1 bis 11 stand, 11-teilig je im rahmenlosen Bilderhalter.

Auf einem Tisch an der Wand gegenüber dem Eingang lagen Formulare die vom Betrachter der Ausstellung ausgefüllt werden konnten.
An der Wand über dem Tisch stand auf einem Anschlag die Handlungsanweisung für den Besucher:


TRAGEN SIE IN DAS
BEREITLIEGENDE FORMULAR IHREN
NAMEN UND IHRE ANSCHRIFT
EIN.

WÄHLEN SIE AUS JEDEM DER DREI
AUSSTELLUNGSBEREICHE IM
BETRACHTUNGSRAUM DAS
ZEICHEN DER SIE AM MEISTEN
ANSPRECHENDEN ARBEIT AUS.

TRAGEN SIE DIESE DREI ZEICHEN
IN DAS FORMULAR EIN.

GEBEN SIE IHR AUSGEFÜLLTES
FORMULAR IM HANDLUNGSRAUM
AB.

 

Der andere Raum wurde als „Handlungsraum“ bezeichnet, da ich in diesem, während der Öffnungszeiten der Show, auch tätig sein wollte. Hier standen im Zentrum jeweils auf einem Quader aus Spanplatte ein Monitor, ein Faxgerät, eine Espressomaschine und ein Kopierer.
Die Grundfläche der Quader entsprach in etwa den Abmessungen der darauf platzierten Geräte. Die Höhe der Quader war so bemessen, dass die Oberkante der daraufgestellten Geräte gleiche Höhe erreichte. Schliesslich waren die Quader mit den Geräten darauf so in der Mitte des Raumes angeordnet, dass ihre Aussenkanten ein imaginäres Quadrat ergaben und durch die gleiche Höhe ein imaginärer Quader, mit Quadratischem Grundriss, festgelegt war.

An den drei freien Wänden hingen grossformatige, mit schwarzer Farbe bedruckte Papiere mit Linolschnitten, die als Motiv Schachtelabwicklungen neben ihren Falzkanten zeigen.

An der Wand mit der Eingangstüre standen links neben dieser vier Klappstühle, auf drei von diesen Stühlen lagen Stapel mit vorgefertigten Folien (DIN A4), die den drei Betrachtungsbereichen mit ihren jeweiligen Zeichen entsprachen:

7 Folien mit Flächen aus Rasterpunkten, die den römischen Ziffern zugeordnet sind, also den Leuchtkonsolen mit den Diajournalen. Die Flächen entsprechen den Textfeldern der Beschreibungen oder Anwendungsanleitungen für die Gegenstände, die mit den Blistern verpackt sind. Die Leerstellen in den Flächen ergaben sich dadurch, dass nach dem Zufallsprinzip gewählte einzelne Worte dem Text entnommen wurden.

13 Folien mit mittig übereinander angeordneten Worten, wie sie sich aus der Abfolge nach dem Zufallsprinzip ergeben haben. Die Textlänge bzw. Anzahl der Worte, die natürlich unterschiedlich ist, bestimmt die Grösse der Schrifttypen, da jeder Text auf dem DIN A4 Format von oben bis unten reichen soll. (Für den Buchstaben A wurde nur diese Versalie als Folienvorlage ausgewählt.)

11 Folien mit einer Linienzeichnung, die dem Schachtelboden entspricht, der über dem Packpapier mit der entsprechenden arabischen Zahl abgebildet ist.

Repräsentativ für jede Zahl, Ziffer oder jeden Buchstaben lag bei dieser Arbeit also eine Folie bereit. Hatte nun ein Besucher ein Formular entsprechend den Anweisungen ausgefüllt und mir übergeben, so legte ich die entsprechenden Folien übereinander und kopierte sie. Das Ergebnis dieser Kopie wurde dem Besucher geschenkt.

Fast wie ein Märchen aus 1001 Nacht, denn genau so viele Kombinationen wären möglich gewesen.Viele Besucher waren verunsichert und scheuten davor zurück das Formular auszufüllen, gingen also leer aus.

Helmut Kirsch, 2008

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